Warum ich nach 11 Jahren einen neuen Organspendeausweis ausfülle

Warum ich nach 11 Jahren einen neuen Organspendeausweis ausfülle

Rosa Lappen, Ausweis, Ausweis. In dieser Reihenfolge stecken mein Führerschein (ja, ich habe noch so einen alten), mein Personalausweis und mein Organspendeausweis im äußeren rechten Fach meines Portemonnaies. Ich habe mir noch nie ein Portemonnaie gekauft, in das ich sie nicht hätte stecken können. Eine kleine Geldbörse im Scheckkartenformat? Niemals! Ich bin immer mit dem halben Hausstand unterwegs.

Und ich trage immer die Erlaubnis dabei, dass meine Organe in einem anderen Menschen weiterleben dürfen, wenn ich es nicht mehr kann. Ich habe meinen Organspendeausweis im März 2007 ausgefüllt. Ein halbes Jahr später wurde ich zum ersten Mal Mutter.

Heute kann ich nicht mehr sagen, ob ich die Entscheidung, potenzielle Organspenderin zu sein, aus reiflicher Überlegung oder aus hormonellem Übermut heraus gefällt habe. Aber sie fühlt sich auch nach elf Jahren Organspendeausweis im Portemonnaie für mich immer noch richtig an.

Ich weiß nur, dass ich ihn aus dem Bürgeramt mitgenommen habe. Es könnte aber auch das Wartezimmer meines Gynäkologen gewesen sein. Oder das vom Zahnarzt. Eines weiß ich aber noch genau. Im kleinen Ratgeberheftchen stand das, was heute noch auf der Webseite steht:
„Es ist ratsam, den Organspendeausweis bei sich zu tragen, zum Beispiel im Portemonnaie bei ihren Personalpapieren. Dort wird er im Notfall am ehesten gefunden.“

Und genau da trage ich ihn seit all den Jahren mit mir herum.

Eigentlich, so dachte ich, habe ich in den letzten Jahren immer darauf geachtet, alle paar Jahre einmal kurz das aktuelle Datum und mein Kürzel wieder drauf zu setzen. Kann doch sein, dass ihn jemand durchliest und zweifelt, ob ich nach all den Jahren wirklich noch zu meiner Entscheidung stehe.

Ja, mir geht es auch jetzt noch gut mit dieser Entscheidung. Dass ich ihn bei mir trage, weiß auch mein Mann. Er ist auch mein eingetragener Nachlass-Verwalter bei Facebook.

Die wenigsten wissen, dass nicht jeder Mensch, der einen Organspendeausweis bei sich trägt, automatisch potenzieller Organspender ist. Man kann diesen Ausweis nämlich auch bei sich tragen, um eine Organspende explizit auszuschließen.

Ich finde den Gedanken sehr tröstlich, dass sich im Fall meines Hirntodes nicht auch noch meine Lieben mit der Entscheidung herumquälen müssen, ob mir Organe entnommen werden dürfen oder nicht.

Ich glaube nicht an Gott. Aber ich glaube an den Glauben. Zu meinem Glauben, nein meiner Gewissheit gehört der Gedanke, dass meine Zellstrukturen nach meinem Tod einfach vor sich hin modern werden. Vorausgesetzt natürlich, meine sterblichen Überreste werden nicht vorher verbrannt.

Das Leben an sich ist eine ziemlich tolle Party. Nicht jeden Tag, aber schon im Allgemeinen. Ihr wisst, was ich meine. Und wenn Teile von mir einem anderen Menschen dazu verhelfen können, noch ein paar Runden auf dieser Party mitzutanzen, wenn ich das Parkett vorzeitig verlassen muss, ist das doch eine feine Sache.

Ich bin ja eher so der pragmatische Typ. Okay, in ruhigen Momenten zuweilen auch feingeistig bis philosophisch. Aber im Alltag mag ich die Dinge einfach und klar.

„Ihr könnt mich ruhig verbrennen lassen,“ erzählte ich meinen Kindern in einer Unterhaltung über die Vorstellung von meinem eigenen Tod. Es war übrigens beim Frühstück.
„Ich bin ja dann tot und merke das nicht mehr.“
„Mama, dir ist das dann also egal?“,  fragte meine große Tochter. Ich antwortete ihr „Wenn man tot ist, ist es einem nicht mal mehr egal. Aber wenn ihr mich vielleicht mal begraben müsst und ihr findet es schöner, dass ich nicht verbrannt, sondern in einen Sarg gelegt werde, dann könnt ihr das ruhig machen. Wahrscheinlich kostet es aber viel mehr.“

Vermutlich werde ich nie einen Preis für besonders sensible Gesprächsführung mit Kindern in Sachen Geburt, Leben und Sterben bekommen. Aber ich habe mich mit ihnen auch über Organtransplantationen unterhalten und warum ich diesen besonderen Ausweis in meinem Portemonnaie habe. Natürlich wollten sie genau wissen, was ich hineingeschrieben habe. Ja, man kann nicht nur Kreuze setzen, sondern unter anderem auch Organe oder Körperteile ausschließen

Meine Hände und alles im und am Kopf gebe ich nicht her. Und auch sonst bin ich froh, dass es keine richtige, falsche oder komische Entscheidung in Sachen Organspende gibt.

In meinem Organspendeausweis steht tatsächlich, dass ich nichts an oder in meinem Kopf spenden möchte. Den Rest können sie haben. Die Vorstellung, dass jemand einmal mit meinem Gesicht herumlaufen könnte oder mit meinen Augen im Kopf vor einen Iris-Scanner tritt, gefällt mir nicht.  Genau so ergeht es mir bei meinen Händen, dabei weiß ich nicht einmal, wo meine Fingerabdrücke überall einmal gespeichert sein werden  – oder längst gespeichert sind.

Recherchiert habe ich darüber aber bis heute wenig. Es war eine reine Bauchentscheidung, das so einzutragen. Aber das ist nicht schlimm. Tatsache ist nämlich, dass jede Entscheidung die richtige Entscheidung ist, solange man sich gut damit fühlt.

Meine Entscheidung ist gefällt, dass ich meinen abgewetzten alten Organspendeausweis in der kommenden Woche durch einen neuen ersetzen werde, auf dem wieder mehr Platz sein wird für meine Kürzel mit dem aufgefrischten Datum.

Ein paar Gedanken zur Organspende noch mit auf den Weg…

Man kann sich an einem Freitag kurz vor Mitternacht auch mit anderen Dingen beschäftigen. Schlafen zum Beispiel, wenn man weiß, dass in ungefähr vier Stunden das erste Kind ins elterliche Bett kriechen wird um sich dort auszubreiten.

Auslöser meines Blogbeitrages war ein Artikel von Hanse-Mamis, den mir Facebook in die Timeline spülte. Ein guter Artikel. Ein wichtiger Artikel.

Kurz darauf schrieb Natalia von Sei dir gut sehr persönliche Gedanken dazu und teilte einen weiteren Artikel. Für manche geht es um Organspende, für manche um sechs Jahre geschenktes Leben. Der Bericht hat mich sehr bewegt.

Eine Seite, die ich zum Thema Organspende sehr mag, ist das Pro & Contra Formular unter www.organpaten.de/diskutieren/pro-contra. Obwohl ich meine Entscheidung längst gefällt habe, waren es doch vor allem die Meinungen gegen eine Organspende, die ich gern gelesen habe. Sie sind bei weitem nicht so zahlreich wie die Argumente in der Pro-Spalte, aber in meinen Augen sehr vielfältig.

Mich erinnern sie daran, dass nur, weil eine Sache für einen selbst so klar ist, dass man nie gezweifelt hat, andere vielleicht erst am Anfang ihrer Überlegungen dazu stehen.

Ich freue mich auf eure Überlegungen und Gedanken zum Thema Organspende und vor allem Organspendeausweis.

3 Kommentare

  1. Liebe Sophie, ich habe meinen Mann noch einmal gefragt, weil ich beim Lesen so überrascht war, dass du das mit dem Kopf und den Händen so explizit geschrieben hast. Mit Organen sind ja eh „nur“ die inneren Organe gemeint… und vom Auge wäre es nur die Netzhaut. In Europa werde ja weder Hände noch Haut oder so transplantiert. Interessant war, dass ich gestern im Ärzteblatt gelesen habe, dass die Spendenbreitschaft in Deutschland noch nie so niedrig war. Das ist vielleicht für dich auch interessant zu lesen. Hier der Link: https://www.aerzteblatt.de/archiv/197504/Organspende-Debatte-um-Systemwechsel

  2. Musste ich doch gleich mal schauen, wann ich meinen Organspendeausweis in die Geldbörse gesteckt habe. Unterschrift und Datum sind aus dem Jahr 2012, werde ich jetzt auch nicht erneuern. Wenn ich es mir anders überlege, dann kommt der Ausweis in den Müll ;)

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