Es gibt Märchen, die fangen mit „Es war einmal…“ an und es gibt Mama-Märchen, die fangen so an: „Also, mein Kind kann schon….“ Und dann folgt wahlweise: „Laufen“, „Durchschlafen“, „Buchstabieren“ …kurz gesagt, Dinge, die jedes gesundes Kind irgendwann lernt. Nur scheint das betreffende Kind sie schon ganz früh zu beherrschen. Solche Märchen enden leider nicht mit: „…und alle lebten glücklich bis ans Lebensende.“ Sie enden meist mit aufforderndem Schweigen oder der nervigen Frage: „Und deins?“ Warum nur müssen manche Eltern – vor allem Mütter – nur so angeben? Das schrieb eine mit unbekannte Mutter namens Susi in einem Forum für Eltern. Dass sie von diesem „Mein Kind kann schon-Syndrom“ genervt war, brauche ich wohl nicht zu erwähnen.
Auf mich kamen diese Märchenstunden schon kurz nach der Geburt von Kind 1.o im Krankenhaus zu, als ich von anderen Müttern hörte, wie schnell doch ihre frisch geschlüpften Baby sich schon einen Stillrhythmus zugelegt hätten. Mein Bündel Leben, das ich zur Welt gebracht hatte, lag fast ausschließlich saugend an oder schlafend auf der Brust und Rhythmus war ihm reichlich egal.
Die Prahlerei zog sich durch den Rückbildungskurs bis auf den Spielplatz und in den Kindergarten. Einzige Ausnahme waren die Mütter in meinem PeKiP-Kurs, an den ich mich jetzt noch gern zurück erinnere. Natürlich haben wir unsere Kinder miteinander verglichen. Wir waren schließlich alle Erstlingsmamas. Sein Kind und dessen Entwicklungsschritte mit anderen zu vergleichen, gibt einem Orientierung in einer völlig neuen Rolle als Mutter. Als Kind 2.0 auf der Welt war, habe ich die selben Geschichten der Frühentwickler unter den Babys wieder gehört – nur manchmal anders verpackt. Diesmal nahm ich es jedoch meist gelassen und dachte mir meinen Teil. Ziemlich oft dachte ich, dass vielleicht ausgerechnet dieses Baby, was schon mindestens zehn Tiere mit Namen benennt, Nacht für Nacht seinen Eltern den Schlaf raubt und sie sich freuen, dass es auch Lichtblicke gibt, die für die schlimmen Nächte entschädigen. Darüber will man natürlich berichten.

Als ich mit Kind 1.0 in Elternzeit, jedoch noch weit entfernt vom eigenen Blog war, habe ich im Babytagebuch bei Kidsgo.de über „Neues aus ‚Mein Kind kann schon…‘ geschrieben. Es ging darum, dass er sich bei mir abgeguckt hatte, wie man pustet. Warum prahlen Eltern nicht mal mehr so in der Art: „Mein Kind kann Sand durch seine Finger rieseln lassen, wieder und wieder und ganz ins Spiel versunken.“ Oder wie wäre es mit „Mein Kind erkennt im angebissenen Frühstückstoast die tollsten Figuren und beißt Schiffe, Elefanten und Drachen hinein.“
Unter dem Titel „Schneller, größer, weiter oder “Mein Kind kann schon…” findet sich bei Wir-mit-Kind.de auch ein schöner Blogbeitrag. Aus dem dortigen Kommentar der ebenfalls bloggenden Mittelmaßmama habe ich übrigens ganz schamlos den Begriff „Eltern-Olypiade“ geklaut. Unaufgefordert aufzuzählen, was das Kind schon kann, gehört zu den fünf Dingen, die man anderen Eltern nicht sagen sollte, findet Kaddi vom Baby Blog auf edelight.de und fragt zu Recht, wie wieviele Wunderkinder unsere Republik noch vertragen kann.
Vielleicht sollten wir bei der Eltern-Olympiade auf Medaillen verzichten und stattdessen einfach Ehrenurkunden für erfolgreiche Teilnahme verteilen? Schließlich hat alles seine Zeit, schreibt Patricia in ihrem Blog zum Thema „Mein Kind kann schon…“. Wer an der Entwicklung seiner Kinder wirklich teilnimmt, sich über viel Schönes freut und vieles Ärgerliches verkraftet, der hat so eine Urkunde auf jeden Fall verdient.
Ein schöner Gedanke – Ehrenurkunden für die erfolgreiche Teilnahme am Leben seiner Kinder.
Denn mal ehrlich: Jedes „er kann, sie kann, kann sie schon“ kann an einer sehr empfindlichen Stelle schmerzen.
Wenn mir einer sagt, dass sein Auto 100 PS mehr hat, seine Wohnung 50 qm größer ist oder seine Yacht nicht erst aufgeblasen werden muss, und dazu noch ein Segel oder gar einen Motor hat… Dann freue ich mich für ihn, oder versuche es wenigstens.
Aber wenn ich höre, dass mein Kind irgendwo hinterher sein könnte, weil in China, Amerika, Südfrankreich, Finnland oder sogar im Nachbardorf alle Kinder ihres Alters schon viel besser Akkordeon spielen können, und ich damit jetzt schon meiner Tochter den Start ins Leben versaut habe, dann kann ich das nicht so einfach wegstecken. Ich fühle mich persönlich schlecht, ich bekomme ein schlechtes Gewissen meinem Kind gegenüber. Was bin ich für ein Rabenvater, dass ich noch immer kein Schifferklavier angeschafft habe?
Dann doch lieber die Urkunde „Du machst das schon gut so“, zusammen mit einem „Leben ist mehr als die Summe seiner Teile“-Anstecker.
Vielen Dank für’s Mutmachen!
Wie treffend. Eine Freundin schwärmte auch so von ihrer Tochter, was sie so tolles erzählt usw… Dann waren unsere Kids zusammen und ich habe von der Kleinen kaum ein Wort verstanden und auch sonst stellte ich keine großartigen Unterschiede fest. Bei meinem Kind 2.0 kann ich viel mit dem ersten Kind vergleichen, doch ich sehe heute die Berichte anderer Mütter sehr viel realistischer und mache mir weniger einen Kopf darum, wie weit meine Kids nun sind, oder nicht. Und ja, es gibt Kinder die können manche Dinge schnell, andere Dinge aber erst später, na und. Mein Kind hat mit 1,5 Jahren ihre Windel, die natürlich gut voll war, auseinander genommen und alles im Bett und Teppich verteilt. Das gibt wenigstens später eine lustige Geschichte in der Hochzeitszeitung;)