#Schulkrise in Berlin: Die Senatorin, die nicht reden will und die ersten Schultage

#Schulkrise in Berlin: Die Postkarte zeigt Straßenschilder mit Bezirksnamen, die in verschiedene Richtungen weisen
Hallo Berlin, wir müssen über die #Schulkrise reden

Es fing mit einem Brief an, der uns als Familie erst einmal sprachlos machte. Aber weil das, was uns beim Übergang von der Grundschule an die weiterführende Schule passierte, kein Einzelschicksal ist, sondern eine echte Schulkrise und weil sich in Berlins Bildungslandschaft dringend so einiges ändern muss, gibt es diesen Blogartikel.

Ich werde ihn als Chronik und Wort und Bild fortführen. Es lohnt sich also, hier immer mal wieder vorbeizuschauen. Beenden würde ich ihn gern mit einem Happy End. Bis dahin gibt es aber noch eine ganze Menge zu tun.

Als Schüler überall abgelehnt. Und wir sind kein Einzelfall.

Der Schulbescheid, den wir in den Händen halten, besteht aus einer Ablehnung für den Erstwunsch, einer Ablehnung für eine Schule, die wir nie angegeben hatten (und erst einmal googeln mussten) und einer Ablehnung für den Drittwunsch. Ich bin traurig und wütend zugleich.

Unser Sohn fragt uns, wieso wir uns mit Schulprofilen beschäftigt haben, wieso wir uns Schulen beim „Tag der offenen Tür“ angeschaut haben, wieso wir überhaupt irgendwelche Schulen in den Anmeldebogen eingetragen haben, wenn er doch eigentlich keine Chance hatte? Wir haben als Eltern keine kluge Antwort darauf.

Er ist ein guter Schüler und bekommt es vom Schulamt dennoch schwarz auf weiß gesagt: „Du bist zu schlecht fürs Gymnasium.“

Wir haben eine Schulkrise und ich schäme mich für unsere Stadt.

Meinen langen Beitrag auf Facebook beende ich mit diesen Worten:

„Ich bin aktives Mitglied im Bezirkselternausschuss Schule und frage mich so manches Mal, warum ich mir dieses Amt auch noch ans Bein binde. 

Aber vielleicht bin ich noch nicht politisch genug. Noch nicht wütend genug. 

Wir Eltern werden leider oft genug erst wach, wenn es unsere eigenen Kinder trifft. Ich bin sehr für eine Bewegung. Ein offener Brief? Eine Petition? Oder gleich eine Demo? 

Ihr merkt schon, ich muss heute Abend Dampf ablassen, damit morgen wieder Platz zum Denken im Kopf ist.“

Was können Eltern überhaupt tun?

Tatsächlich bin ich unschlüssig, ob ich etwas tun kann. Ich meine damit nicht unsere persönliche Situation. Gegen den Bescheid haben wir Widerspruch eingelegt. Die Eingangsbestätigung kommt sofort, allerdings mit dem Hinweis darauf, dass die Bearbeitung voraussichtlich eine sehr lange Zeit in Anspruch nehmen wird.

Als ich auf meine Social Media Beiträge immer mehr Rückmeldungen bekomme und erfahre, dass es manche Familien mit den Fahrzeiten zur zugewiesenen Schule noch härter trifft, lässt mich der Gedanke nicht los, dass man doch irgendwie ein öffentlichkeitswirksames Zeichen setzen müsste.

Ich sichere mir sowohl den Account Schulkrise auf Instagram als auch den Account Schulkrise auf Twitter.

Ich möchte am liebsten sofort eine Petition starten. Doch ich zögere.

Da ist ja auch noch das restliche Leben. Der Beruf mit 35 Stunden in der Woche, die Familie, die Zeit verdient hat, der Wunsch, endlich mal wieder etwas für den Blog zu tun und vielleicht hin und wieder auch Zeit für mich zu haben. Der Haushalt fehlt übrigens ganz bewusst in dieser Aufzählung. Der wird ohnehin in letzter Zeit stiefmütterlich behandelt. Das haben wir als Familie so entschieden.

Den Sonntag der Europawahl nutzen wir für einen „Ausflug“ zum Gymnasium, das wir bisher nur vom Papier kennen. Da Schulen oft als Wahllokale genutzt werden, können wir uns zumindest ein wenig die Flure und den Schulhof ansehen. Und wir schaffen den Weg von Tür zu Tür tatsächlich in knapp unter einer Stunde.

Kiezgespräch zum Thema „Baustelle Schule“

Zwei Tage später bin ich die Frau, die beim Kiezgespräch zum Thema „Baustelle Schule?“ in der ersten Reihe sitzt und vor Wut an die Decke springen möchte.

Am Abend des Kiezgespräches gehe ich sehr deprimiert nach Hause.

Das Thema Schulkrise ist überall präsent. Es sind nicht nur die Schulkinder betroffen, die an eine weiterführende Schule wollen, es sind Grundschulkinder betroffen, die in die noch verfügbaren Schulen gestopft werden, weil woanders kein Platz ist. Überbelegungen sind an der Tagesordnung.

Die Petition „Berliner Bildungsnotstand stoppen“

Dann stoße ich auf die Petition, die ein betroffener Vater aus dem Nachbarbezirk gestartet hat. Er hat ebenfalls drei Kinder und seine jüngste Tochter soll nun ebenfalls einen weiten Weg an eine Schule zurücklegen, die nie der Wunsch der Tochter war.

Ich bin froh über diesen Anstoß und fasse den Entschluss, dass es keinem gut tut, wenn ich still für mich deprimiert oder wütend auf die Antwort vom Schulamt warte. Es muss sich was tun. Die Berliner Landesregierung und allen voran die Berliner Schulsenatorin soll merken, dass es den Eltern nicht egal ist, was hier in der Stadt mit den Schulkindern passiert.

Ich weiß, dass es Abende geben wird, an denen ich – müde von einem langen Tag – nur noch auf dem Sofa sitze und den Daumen über das Display vom Smartphone bewege. Mehr wird geistig und körperlich nicht drin sein. Aber was soll’s.

Ein bisschen Sofasolidarität geht schließlich immer.

Also nutze ich lieber die Möglichkeiten, die ich habe als gar nichts zu tun. Zu den ersten, mit denen ich die Petition teile, zählen meine Kolleginnen und Kollegen. In der ersten Zeile der E-Mail entschuldige ich mich, dass ich den Verteiler unserer Hauptgeschäftsstelle für ein persönliches Anliegen nutze. Es geht weiter an den Verteiler der Gesamtelternvertretung an unserer Schule. Später an alle Bezirkselternausschüsse in Berlin und an den Landeselternausschuss Berlin.

Auch auf Instagram teile ich die Petition und finde es großartig, wie viele meine Stories und meinen Beitrag wiederum mit ihrem Netzwerk teilen.

Sieh dir diesen Beitrag auf Instagram an

Ein Schnappschuss, den mein Bruder von mir gemacht hat. Er hat mich so eingefangen, wie ich in letzter Zeit oft dasitze. Nichts für den Blog schaffen, weil es gerade andere Baustellen gibt. Wir wohnen in Berlin-Friedrichshain. Mein Elfjähriger ist an drei Oberschulen abgelehnt worden. Notendurchschnitt nicht gut genug und kein Glück im Losverfahren. Mit einer 1,9. Er soll künftig nach Charlottenburg-Wilmersdorf fahren. An guten Tagen wird er den Schulweg noch knapp unter einer Stunde schaffen. Die Situation betrifft jetzt viele Kinder, die die Grundschule verlassen, aber wenn wir als Eltern keinen Druck machen, demnächst alle Grundschulkinder in vielen Bezirken. Es gibt zu wenig Plätze an Oberschulen, dabei war der Zuwachs an Schüler*innen seit Jahren abzusehen! Stattdessen wurden in Berlin Schulgebäude verkauft oder abgerissen. Auch Kita-Kinder sind aktuell schon betroffen. Wenn sie überhaupt einen Schulplatz in der Nähe bekommen, werden sie z.T. in zusätzliche Klassen gestopft, die den Schulen aufgezwungen wurden. Unsere Grundschule ist auch betroffen und muss zusätzlich eine weitere 1. Klasse eröffnen. Bitte unterzeichnet die Petition ans Berliner Abgeordnetenhaus und teilt sie mit möglichst vielen Menschen. Der Link zur Petition ist im Profil. Falls ihr einen Social Media Account habt, könnt ihr auch gern den Kurz-Link http://bit.ly/schulkrise mit den Hashtags #Schulkrise und #Schulnotstand teilen. Danke im Voraus. Lasst uns laut werden – für die gute Bildung unserer Kinder!

Ein Beitrag geteilt von Sophie | BerlinFreckles.de (@berlinfreckles) am

Unterstützung aus dem Netz

Ich freue mich, dass Sophie und Laura vom Blog Momdays das Thema aufgreifen, auch wenn es sie selbst noch gar nicht betrifft.

Dann melden sich Katharina und Lisa vom Blog Stadt, Land, Mama bei mir und bieten mir ein Interview zur Schulkrise in Berlin auf ihrem Blog an. Ich starte den Sonntag mit meinen Antworten auf ihre Fragen, damit der Artikel gleich am Montag online gehen kann.

Und ich starte diese Chronik zur Schulkrise. Die Petition ans Berliner Abgeordnetenhaus, der ich zwischendurch den Kurzlink http://bit.ly/schulkrise eingerichtet hatte, weil die URL so lang ist, steht aktuell bei 851.

Mit Matthias, dem Initiator der Petition habe ich mich inzwischen vernetzt. Vielleicht knacken wir am Montag die 1.000er Marke. Und tatsächlich sehe ich am Montag, den 24. Juni:

Die Petition hat die ersten 1.000 Unterschriften

Noch bevor ich das Haus in Richtig Büro verlasse, geht das Interview auf Stadt, Land, Mama online.

Als ich am selben Abend einen Blick auf die Petition werfe, sind die Unterschriften schon auf 1.032 geklettert. Gleichzeitig weiß ich, dass halb Berlin irgendwo in den Sommerferien ist. Vermutlich bleiben die Möglichkeiten begrenzt.

Start der Sommerferien und eine Interviewzusage der Bildungssenatorin

Nach mittlerweile sechs Jahren Grundschulerfahrung weiß ich, dass pünktlich mit dem Beginn der Sommerferien die Elternmitwirkung zum Erliegen kommt. Von allen informierten Bezirkselternausschüssen meldet sich kein einziger zurück.

Auch wir starten in den Familienurlaub. Immerhin mit einer Interviewzusage von Bildungssenatorin Sandra Scheeres bzw. ihrem Mitarbeiter, der in ihrem Namen antwortet. Allerdings wäre sie erste einmal im Urlaub heißt es.

Kein Problem, schreibe ich kurz bevor wir selbst in den Urlaub nach Österreich starten. Ich würde schon einmal die Fragen sammeln und sie bei Bedarf auch vorher einreichen.

Die Senatorin will doch nicht reden

Als ich nachfragte, bis wann sie gern die Fragen geschickt haben möchte, wurde zurückgerudert. Ein Interview mit mir wäre nicht möglich. Sie hätte leider zu viele Pressetermine. Man könne nur schriftlich antworten. Das ist enttäuschend und vervollständigt das Bild, das ich von ihr habe. Dabei hätte ich sogar einen Latte Macchiato mitgebracht.

Und ja, ich bin keine Jounalistin. Ich gehöre nicht zu dieser wichtigen Presse, für die man sich Zeit nimmt. Ich bin nur eine Bloggerin. Aber ich bin eine Elternbloggerin, die sich ehrenamtlich für eine gute Bildung der Kinder in dieser Stadt engagiert und die sich trotz dieser Haltung der Senatorin nicht abspeisen lässt. 

Die Prognose von über 20.000 fehlenden Schulplätzen in Berlin

Pünktlich zum Beginn des neuen Schuljahres überschlagen sich die Newsmeldungen. Es werden für das Schuljahr 2010/21 über 20.000, 24.000, 25.000, ja bis zu 26.000 fehlende Schulplätze prognostiziert. Das Debakel scheint so groß, dass sich anscheinend niemand die Mühe gemacht hat, mal nachzuzählen, wie viele es denn nun sind.

https://www.morgenpost.de/berlin/article226691487/Schulen-in-Berlin-Mangel-an-Schulplaetzen-groesser-als-befuerchtet.html

https://www.inforadio.de/programm/schema/sendungen/int/201908/06/360987.html

https://www.bz-berlin.de/berlin/in-den-naechsten-zwei-jahren-fehlen-in-berlin-26-000-schulplaetze

Aber egal, die Meldung schlägt Wellen und die Bildungssenatorin, die übrigens keine Bildungskrise erkennen kann (!), bekommt Feuer von allen Seite. Der Landeselternausschuss fordert einen Krisengipfel, den die Senatorin (wie nicht anders erwartet) ablehnt.

Ein Account zur Schulkrise auf Twitter und die Sammlung von Elternfragen an die Senatorin

Der Account @schulkrise auf Twitter

Ich habe auf Twitter den Account @Schukrise mit dem erklärten Ziel, erst aufzuhören, wenn Berlin diesen Account nicht mehr braucht.

Da ich leider nur ein schriftliches Interview bekomme, sammle ich bis zum 14. August die Fragen der Eltern zur Schulkrise. Jeder kann Fragen einreichen und bereit vorhandene Fragen abstimmen. Die werden als besonders dringende Anliegen eingereicht.

Zur Sammlung der Fragen geht es hier: https://app.sli.do/event/szy7bjb3/live/ideas

Das Schulkind fährt derweil nach Charlottenburg

Wie ging es eigentlich für uns persönlich weiter? Kurz vor Ferienende bekamen wir Antwort vom Schulamt. Der Widerspruch wurde abgelehnt.

Wir fahren und laufen in den ersten Tagen den Schulweg abwechselnd gemeinsam mit unserem Sohn, was uns beruflich vor zusätzliche Herausforderungen stellt. Zum Glück findet er sich in dem Stadtteil, den er überhaupt nicht kennt, gut zurecht.

In der Klasse gibt es kein Kind, das den Schulweg mit ihm gemeinsam fahren könnte. Er hat nur eine Leidensgenossin, die ebenfalls aus Friedrichshain kommt. Es ist seine Lehrerin.

„Herrje, was für ein Schulweg!“, sagt sie uns im Gespräch nach der Aufnahmefeier. „Ich mache das ja immerhin freiwillig. Wenn ich überlege, dass meine Tochter in ein paar Jahren vielleicht auch so weit fahren müsste…!“

3 Kommentare

  1. Hallo Sophie,
    Oh man! (Das fällt mir dazu ein.) Ansonsten kommentiere ich, obwohl aktuell unterwegs, um zu sagen: Wenn über die Petition hinaus jemand gebraucht wird, ich wäre dabei. Auch gern für größere Kampagnen.
    Alles, alles Gute euch!

  2. Liebe Sophie, mir fällt zu dieser aktuellen und leider seit Jahren bestehenden Situation das Zitat von – Georg Christoph Lichtenberg ein: „Ich weiss nicht, ob es besser wird, wenn es anders wird. Aber es muss anders werden, wenn es besser werden soll.“
    Warum werden also politische Entscheidungen nicht vorrausschauend getroffen?
    Wer würde sein Kind in Bayern täglich von München nach Augsburg oder in Nordrhein-Westfalen von Köln nach Bonn zur Schule schicken?

    Hier wissen unser Regierender Bürgermeister, die Senatsverwaltung oder das Bundesministerium für Bildung Antworten, die auch zu praktikablen Lösungen führen…
    Oder schreiben wir hier für den Folgeband der „Unendlichen Berliner Geschichte…“
    Zugleich möchte ich denen DANKE sagen, die unterstützen, Ideen einbringen und optimistisch in die Zukunft blicken!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.