Soll man junge Familien mit mehr Geld unterstützen? Vielleicht zur Geburt des Kindes ein bisschen Bares auf die Hand?
Das das so nicht viele Früchte tragen würde, haben sich die Mitglieder des „Netzwerk rund um die Geburt“ im Berliner Bezirk Marzahn-Hellersdorf gedacht und als Alternative den Familienbildungsgutschein ersonnen. Bildung für die Familie in Form eines Gutscheins also. Die Pressemitteilung des Bezirksamtes erklärt, wie’s funktioneren soll:
[…] Berlin Marzahn-Hellersdorf ist ein kinderfreundlicher Bezirk, in dem jedes Jahr etwa 2.000 Kinder geboren werden. Ab sofort erhalten alle Eltern, die in Marzahn-Hellersdorf wohnen, anlässlich der Geburt eines Kindes oder der Aufnahme eines Säuglings zu dauernder Pflege oder Adoption einen Gutschein für Bildungsveranstaltungen zur Förderung der Kompetenzen für Erziehung in der Familie im Wert von 40 Euro, den sie für die Gebühren der jeweiligen Veranstaltung einlösen können. […]
Der Kinder- und Jugendgesundheitsdienst des Bezirksamtes übersendet den Eltern nach der Geburtsmeldung den Gutschein und weitere Informationen, die für das Leben mit Neugeborenen wichtig sind. Sie wollen den jungen Eltern damit auch vermitteln, dass es keineswegs ehrenrührig ist, die Angebote zu nutzen, sowie den Gedankenaustausch mit Dritten außerhalb der Familie zu suchen, zeugt das doch von hohem Verantwortungsbewusstsein. […]
Ab sofort heißt in diesem Falle, seit Anfang diesen Jahres. (Ja, es hat etwas gedauert, bis die Meldung hierher zu mir nach Friedrichshain durchgesickert ist…) Ich habe die Info in den regionalen Meldungen der aktuellen KidsGo-Ausgabe entdeckt. Neugierig bediene ich mich der bekannten Suchmaschine und lese, dass sich im „Netzwerk rund um die Geburt“ das Bezirksamt Marzahn-Hellersdorf, die Geburtsklinik im Vivantes Klinikum Hellersdorf, Eltern- und Familientreffs, Kinderärzte und Gynäkologen vereint haben. Laut Bezirksbürgermeisterin Dagmar Pohle werden in Marzahn-Hellersdorf jedes Jahr etwa 2000 Kinder geboren und es sei leider der Bezirk mit den meisten minderjährigen und allein erziehenden Müttern. Das Angebot solle die Schwellenangst senken, außerfamiliäre Hilfen in Anspruch zu nehmen.
Die sogenannten Bildungsangsveranstaltungen tragen im Gutschein hoffentlich nicht diesen Namen, denn selbst ich als sehr bildungsinteressierte Mama finde den Begriff wenig einladend – gerade mit Hinblick auf die Zielgruppe des Familienbildungsgutscheins. Nennen wir sie also einfach Familienangebote, zu denen neben PeKiP und Babymassage auch Kurse mit Titeln wie „Fit for Fun“, „Erziehung mit Herz und Verstand“ , „Starke Eltern – starke Kinder“ und „Sprechstunden für unruhige Babys“ gehören.
Für 2010 und 2011 haben die Bezirksverordneten je 25 000 Euro bewilligt. Der kühle Rechner unter den Lesern erkennt natürlich sofort, dass das Budget bei ca. 2000 Geburten im Jahr nicht annähernd ausreichen würde. Der Bezirk rechnet allerdings damit, dass nur ein Drittel der Eltern die Hilfe annimmt. Wenn es mehr sein sollten und die 25 000 Euro verbraucht seien, müssten die Eltern auf 2011 vertröstet werden, heißt es vom Finanzstadtrat Stefan Komoß.
Diese prognostizierte Quote klingt für mich angesichts der Akzeptanz ähnlicher Angebote noch sehr positiv. Ich erinnere mich an die Wochenbettstation nach der Geburt meines „Großen“. Dort bekamen alle Mütter von einer Sozialarbeiterin des Kinder- und Jugendgesundheitsdienstes Friedrichshain einen Infozettel in die Hand gedrückt mit dem Angebot eines Hausbesuches in den nächsten Wochen. Ich weiß noch, dass mir eigentlich keine besonderen Fragen einfielen, die ich der Sozialarbeiterin hätte stellen können, aber ich nahm das Angebot aus Neugier trotzdem an und wir kamen bei (koffeinfreiem) Kaffee und Kuchen ins Plaudern. Wie viele der Mütter das Angebot des Hausbesuches denn in überhaupt in Anspruch nehmen würden, hatte ich die ältere Dame gefragt, die mir an diesem Nachmittag noch jede Menge Adresslisten und Flyer da ließ. Sie antwortete: „Naja, ich würd mal sagen, dass wir 80% der Mütter nicht wiedersehen. Leider.“
Selbst wenn nur das erwähnte Drittel der Eltern den Gutschein binnen der zweijährigen Gültigkeit einlösen wird, sei das laut Pohle trotzdem eine gute Investition. Die Bezirksbürgermeisterin, deren Bezirk übrigens rund 32 Millionen Euro Schulden hat, erklärt: „Wir hoffen außerdem, dass wir später weniger Geld für Folgekosten ausgeben müssen“. Wenn sich das Programm, das in Berlin bislang einmalig ist, bewähre, könne darüber nachgedacht werden, ob es ausgeweitet werde.
Ich wüsste auf jeden Fall schon einen Bezirk, in dem es von Eltern nur so wimmelt, die sich auf alle Arten von Eltern-Kind-Kursen stürzen – je exotischer, deso besser…
(Quellen: Pressemeldung BA Berlin Marzahn-Hellersdorf, Pressemeldung Vivantes, Tagesspiegel, Berliner Morgenpost)